Bulimie (Bulimia nervosa)
Hauptmerkmale der Bulimie (Bulimia nervosa) sind Heißhungeranfälle, gefolgt von gegenregulatorischen Maßnahmen wie Fasten, Erbrechen, exzessivem Sport etc. Das Erkrankungsverhältnis von Frauen zu Männern liegt bei 20:1. Am häufigsten sind junge Frauen betroffen. Der Altersgipfel liegt bei 18 Jahren.
Heißhungeranfälle oder Essattacken führen zu einer abnormen Aufnahme hochkalorischer Nahrungsmittel. Das bedeutet, dass hauptsächlich fett- und kohlenhydratreiche Esswaren regelrecht verschlungen werden. Infolge eines Essanfalls kommt es zu einem unangenehmen Völlegefühl, das wiederum beim Betroffenen ein Gefühl des Ekels, der Traurigkeit und der Schuld auslöst. Die Erkrankung wird vor der Familie und den Freunden verborgen, die Essattacken finden heimlich statt.
Man spricht von einer Bulimie als Erkrankung, wenn folgende Kriterien erfüllt sind:
- wiederholte Episoden von Essanfällen (> 2 Essanfälle pro Woche) mit Aufnahme einer großen Menge hochkalorischer Nahrungsmittel
- Der Betroffene kann die Menge an Nahrungsmitteln während des Essanfalls nicht mehr kontrollieren.
Um eine Gewichtszunahme zu vermeiden, werden gegenregulatorische Maßnahmen eingesetzt. Dazu gehören:
- willkürliches Erbrechen
- Einnahme von Abführmitteln (Laxantien), entwässernden Medikamenten (Diuretika), Schilddrüsenhormonen
- Fastenperioden
Bulimieerkrankte sind permanent und geradezu zwanghaft mit Nahrungsaufnahme, Lebensmitteln, ihrer Figur und der damit verbundenen Angst, dick zu werden, beschäftigt. Zeitlich strukturierte Elemente im Alltagsleben, wie zum Beispiel gemeinsame Mahlzeiten, verlieren ihre Bedeutung.
Das bulimische Essverhalten kann schwerwiegende Gesundheitsprobleme hervorrufen:
- das ständige Erbrechen führt zur Elektrolythentgleisung
- der Zahnschmelz wird durch aufsteigende Magensäure beim Erbrechen geschädigt
- Speicheldrüsen können sich vergrößern, es entstehen sogenannte Hamsterbacken
- Kreislaufprobleme
Hinter jeder Bulimie-Erkrankung steckt ein ganz individueller Leidensweg. Zwischen den Essattacken haben die meisten Betroffenen ihr Leben im Griff und sind erfolgreich. Eine Reihe von Faktoren kann die Bulimie begünstigen:
- Auslöser sind häufig erlebte, drohende oder vorgestellte Kränkungen, die sich vor allem auf das Aussehen und Gewicht der Betroffenen beziehen.
- Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper und der Figur, die häufig noch durch das gesellschaftlich vermittelte Schlankheits- und Schönheitsideal verstärkt wird. Schlankheit wird als Sinnbild von Gesundheit, Leistung und Erfolg angesehen.
- geringes Selbstwertgefühl
- familiäre Faktoren
- Diätverhalten: Essen wird nicht mehr durch die physiologische gesunde Wahrnehmung von Hunger, Sättigung, Appetit, Lust und Genuss gesteuert.
- Essen als Ventil für emotionale Erleichterung und Ersatzbefriedigung für unerfüllte Bedürfnisse.
- Trennung vom Elternhaus
- Verlust nahestehender Menschen
- enttäuschende Erfahrungen in sexuellen oder erotischen Beziehungen
Die Therapie der Bulimie entspricht der Therapie der Magersucht (Anorexia nervosa). Betroffene mit Bulimie leiden ebenfalls an einer Störung der Körperwahrnehmung und lehnen Hilfemaßnahmen oder Therapieangebote zunächst ab. Sie empfinden diese sogar eher als Bedrohung. Ziel der Therapie ist es daher, neue Verhaltensweisen zu erlernen, noch wichtiger aber, die tiefer liegenden seelischen Ursachen zu beheben. Die Behandlung erfordert von allen Beteiligten viel Geduld.
Therapiephasen:
- Abwendung akuter Lebensgefahr
- Gewichtsnormalisierung
- Aufbau einer ausreichenden Behandlungsmotivation
- Erlernen eines situationsangepassten Essverhaltens
- Erlernen der Zusammenhänge von Figur, Gewicht, Ernährung
- Aufbau von Verhaltensfertigkeiten
- spezifische Behandlung affektiver Störungen (Depressionen), posttraumatischer Störungen und Persönlichkeitsstörungen
- Verhinderung einer Chronifizierung der Erkrankung
Früherkennung und Frühintervention werden häufig dadurch erschwert, dass die Ess-Störungen meist aus Scham verschwiegen werden. Beim Hausarztbesuch wird das eigentliche, zentrale Thema nicht angesprochen, sondern die Symptome werden durch die Nennung anderer Beschwerden, zum Beispiel geringe Monatsblutung oder Magen-Darm-Beschwerden, heruntergespielt.
Sobald eine Gewichtszunahme begonnen hat, kann zusätzlich eine Psychotherapie beginnen. Diese kann sich über Jahre erstrecken. Bei jüngeren Patienten kann eine Familientherapie indiziert sein. Sinnvoll sind auch Gruppensitzungen und Selbsthilfegruppen, da Betroffene sich hier mit anderen über ihre Erfahrungen und Wahrnehmungen austauschen können.
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